Der Stadtverkehr Lübeck setzt ganz auf Elektromobilität und den vollelektrischen Mercedes-Benz eCitaro. Das Omnibus Magazin ist einen Tag lang mitgefahren und hat Spannendes erfahren.
Ein Tag unterwegs mit der Zukunft.
Der Stadtverkehr Lübeck setzt auf den Mercedes-Benz eCitaro.
Schon seit 1955 ist die Marke mit dem Stern beim Stadtverkehr Lübeck vertreten. Neuerdings vertreten durch den Mercedes-Benz eCitaro. 24 dieser Mannheimer Leisetreter sind in der Hansestadt unterwegs. Weitere 32 sollen bis Mitte 2023 dazukommen – 2030 dann soll der Stadtverkehr zu 70 Prozent elektrifiziert sein. Aber bewähren sich die Busse auch im täglichen Betrieb? Wurden die hohen Erwartungen des Verkehrsunternehmens erfüllt?
Elektrobus als Busfahrers Liebling.
Wo könnte man das besser erfahren als im Elektrobus selbst. Also rein in den eCitaro, rauf auf die Linie 7 mit einer einfachen Länge von rund 17 Kilometern und einer Umlaufzeit von etwas über einer Stunde. Bei Umläufen mit bis zu 360 Kilometern werden die Elektrobusse jetzt punktgenau auf den passenden Linien eingesetzt und müssen zuweilen auch mittags im Depot nachgeladen werden.
Buslenker Andre Wolter (38) begrüßt uns freundlich und souverän an Bord „seines“ 18 Meter langen eCitaro G am ZOB – den optionalen Zweiachsantrieb des Gelenkbusses hat sich die SV Lübeck aufgrund der „quasi nicht vorhandenen Topografie“ gespart.
Zurück zum Bord-Alltag: Man merkt Andre Wolter seine 12 Jahre Fahrerfahrung deutlich an –jeder Handgriff und Spiegelblick sitzt perfekt. Wolter: „Ich bin wie meine meisten Kollegen sehr begeistert von den Elektrobussen, gerade was die Fahreigenschaften und das rekuperationslose Segeln betrifft. Anfangs waren manche Fahrer skeptisch wegen der zunächst geringeren Reichweite, aber diese Reichweitenangst hat sich schnell gelegt,“ sagt er bei einem kurzen Halt am Holstentorplatz.
Ein Ehepaar im frühen Rentenalter lobt den Fahrkomfort und die Ruhe: „Wir selbst und ein Elektroauto? Um Gottes Willen, da fahren wir lieber Elektrobus!“ Ein paar ältere Damen kommen vom zweiten Frühstück zurück: „E-Busse? Das ist für uns schon ganz selbstverständlich geworden,“ antworten Sie auf die Frage zur Besonderheit des Antriebs.
„Ich bin wie meine meisten Kollegen sehr begeistert von den Elektrobussen.“
Eine neue Welt im Busbetrieb.
Zurück im Betriebshof sitzen wir Jens Lottmann gegenüber. Lottmann ist gelernter KfZ-Meister und Betriebswirt HWK und seit 2015 Leiter des Programms E-Mobilität beim Stadtverkehr Lübeck. Dabei hat sich der ÖPNV-Experte eine gesunde Portion Skepsis bewahrt. „Früher haben wir die Busse einfach nach Gefäßgröße verplant, heute müssen wir ganz genau die Reichweiten bei der Umlaufverteilung mit einrechnen.“ Die neue Generation des eCitaro mit innovativer Festkörperbatterie auf LMP-Basis verfügt dafür über eine garantierte Reichweite von 200 Kilometern unter allen klimatischen Umständen. „Die ersten sechs Busse mit der ersten Lithium-Ionen-Batterie-Generation schafften unser Pensum bei 150 Kilometern noch nicht ohne Einschränkungen“.
Die Verfügbarkeiten der Elektrobusse liege deutlich über 90 Prozent und sei damit als gut zu bewerten. Trotzdem würden anstehende Diesel-Ausmusterungen zeitlich geschoben, da man derzeit den Diesel noch nicht eins zu eins ersetzen könne. Langfristig geht Lottmann von einem Faktor von 1,25 bis 1,5 E-Bussen pro Dieseläquivalent aus. „Aber wenn ich morgens hier reinkomme, und alle E-Busse sind unterwegs, kann es ja nicht so schlecht laufen, sage ich immer,“ zeigt sich Lottmann dann zufrieden. Die rund um die Uhr von zwei Mitarbeitern besetzte Leitstelle habe jedoch laut Lottmann einen deutlich höheren „Betreuungsbedarf“, es müssen mehr Fahrzeuge und Fahrer getauscht werden und größere Reichweitenpuffer eingerechnet werden.
„Wenn ich morgens hier reinkomme, und alle E-Busse sind unterwegs, dann kann es ja nicht so schlecht laufen.“
Zehn Tonnen Starkstromkabel sorgen für geladene Busse.
Nächster Ortswechsel: Bushalle mit Ladeinfrastruktur. „Der reibungslose Betrieb funktioniert nur, weil die Infrastruktur und die Werkstatt im Hintergrund aufgerüstet und auf den neuesten Stand gebracht wurden. Wir haben hier schon drei Ladeinseln mit jeweils zehn Ladepunkten von Schaltbau installiert, bis Jahresende kommen weitere 40 Ladepunkte für die Fahrzeuglieferungen bis 2023 dazu,“ erläutert Ole Hoffmann.
Hoffmann ist beim Stadtverkehr Lübeck für die Lade-Infrastruktur verantwortlich. Bis Ende 2023 sollen insgesamt rund zehn Kilometer Starkstromkabel mit einem Gesamtgewicht von rund zehn Tonnen verlegt worden sein, um den monatlichen Energiebedarf eines Busses von rund zehn Megawattstunden zu bedienen. Derzeit liegt die Trafoleistung bei fünf Megawatt, auf dem Hof sind zwei 10.000 Volt-Ringleitungen verlegt.
„Der reibungslose Betrieb funktioniert nur, weil die Infrastruktur und die Werkstatt im Hintergrund aufgerüstet und auf den neuesten Stand gebracht wurden.“
Eine Besonderheit haben sich die Elektrofachleute in Lübeck aber einfallen lassen: „Um die bekannten Ladeverluste der Ladegeräte selbst von rund fünf Prozent zu minimieren und deren Abwärme effizient zu nutzen, haben wir die zehn Lader Rücken an Rücken gestellt und mit einem Kühlkanal versehen, der bei Bedarf die Halle mit erwärmt oder die Wärme gezielt abführt. Das kommt sowohl der klimatischen Vorkonditionierung der Fahrzeuge als auch der „Wohlfühltemperatur“ der LMP-Festkörperbatterien zu Gute. „Wir sind mit allem ja noch ganz am Anfang, es gibt noch nicht DIE Lösung für irgendeines der Themen,“ fasst Hoffmann zusammen.
In der Werkstatt geht es den Bussen aufs Dach.
Nicht nur im Busdepot selbst, auch in der Werkstatt werden neue Wege begangen. Hier zeichnet eine junge Frau verantwortlich, Milena Puzicha. Sie ist stellvertretende Werkstattleiterin der hauseigenen Regiewerkstatt, in der die meisten Reparatur- und Wartungsarbeiten eigenverantwortlich durchgeführt werden. Bei einigen Systemen der Elektrobusse sind es jedoch OMNIplus Techniker selbst, die Hand anlegen – so zum Beispiel bei den hochentwickelten Batteriesystemen.
Neu sind in den beiden Werkstatthallen die Dacharbeitsplätze auf rund 3,50 Meter hohen Aluminiumgestellen mit Treppenaufgängen. Die sind in der ersten Halle bereits fertig mit zwei Strängen – der Rest wird sukzessive nachgerüstet.
„Mittlerweile bieten wir hier auch die Ausbildung zur Fachkraft Hochvolt- und Systemtechnik an,“ erläutert Frau Puzicha. Sie hat über einen „Girl’s Day“ den eigenen Zugang gefunden und ihren Job seit 2009 von der Pike auf gelernt. Außerdem fährt Sie auch selber Bus. Die rund 30 Mitarbeiter der Werkstatt verfügen zum Teil schon über die notwendigen Hochvoltschulungen 1 und 2, die dritte, Arbeiten unter Spannung, ist in Planung für eine Kernmannschaft. „Über die Zeit wird jeder Mitarbeiter hier mitgenommen, und mittelfristig wollen wir räumlich und personell eine eigene Elektromobilitäts-Abteilung schaffen.“
„Mittelfristig wollen wir räumlich und personell eine eigene Elektromobilitäts-Abteilung schaffen.“
Rundum-Service von Busworld Home und OMNIplus ON.
Aber auch der EvoBus Vertrieb und die Servicemarke OMNIplus stehen mit Rat und Tat zur Seite, wie der zuständige EvoBus Vertriebsmitarbeiter Thorsten Gallo zu berichten weiß: „Die meisten der Hochvoltlehrgänge werden direkt bei OMNIplus in Mannheim oder Neu-Ulm absolviert, aber auch mal hier vor Ort, wenn es um größere Gruppen geht. Die Zusammenarbeit mit unserem Busworld Home in Hamburg läuft ebenfalls sehr gut, auch die Ersatzteilversorgung wird direkt von dort organisiert. Es wächst alles miteinander auf, es geht einfach alles Hand in Hand.“
Dabei sei es von besonderer Wichtigkeit, zur rechten Zeit die Schulungskapazitäten im Internet zu buchen, so Jens Lottmann, der Bedarf sei überall sehr groß. Das ist aber für ihn kein großes Problem, schließlich ist Lübeck für viele Entwicklungsthemen in Sachen Connectivity und OMNIplus ON Pilotkunde. Die digitalen OMNIplus ON Data Packages sorgen für das, für den Fördergeber notwendige Minimaldatenset der Busse, das neue Uptime Pro wiederum für die prädiktive Wartung und Ersatzteile werden direkt digital über das Werkstattsystem COSware bestellt. „Jetzt sind wir hier bei einem Reifegrad angelangt, wo die Praktiker direkt und jeden Tag mit dem System arbeiten müssen,“ so Lottmann.
Wie geht es weiter in Lübeck an der Trave? Jens Lottmann ist zuversichtlich, dass es schnell voran geht mit der Elektromobilität und auch neuen Technologien steht er offen gegenüber. „Da wäre zum Beispiel Wasserstoff als Energiespeicher. Ich bin mir sicher, dass ich das Thema in meiner Laufbahn zumindest noch mit anschieben werde.“ Der neue eCitaro mit Range-Extender steht dafür immerhin schon bereit!